Wie sich eine Radreise wirklich anfühlt

178,29 km Distanz
09:40:34 Bewegungszeit
18,4 km/h Tempo

Verstrichene Zeit: 12:07:38
Ø-Puls: 145 bpm
Höhenmeter: 1.818 m

Anstatt die Etappe mit blumigen Worten über blühende Landschaften und das herrliche Wetter einzuleiten, ist dieser Tag ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine Radreise wirklich anfühlt.

Ich war über zwölf Stunden unterwegs, saß fast zehn Stunden im Sattel und musste 1.800m Höhenmeter mit mehr als 20kg Gepäck überwinden. Ich fahr zwar in den Urlaub, aber erholen werde ich mich auf meiner Reise eher selten. Dementsprechend war ich irritiert als ich mir vor kurzem bei YouTube eine PULS-Reportage mit dem Titel “Urlaub mit dem Fahrrad: Wie viel Spaß macht das?” gefunden hab.

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Radreisen sind für mich weder Erholung, noch Spaß, noch sportliche Challenge. Wer mit diesem Anspruch eine Radreise macht, könnte am Ende enttäuscht sein. Radreisen liegen irgendwo dazwischen und haben zwar von allem etwas, werden in der Außendarstellung aber oftmals romantisiert. Selbst wenn die Reisenden nicht mit blumigen Beschreibungen das Erlebte beschönigen, transportieren Bilder oder Videos oftmals eine Idealvorstellung. Ich filme oder fotografiere auch nur an Orten, die schön sind. Wenn ich stundenlang an einer Bundesstraße entlang fahre, mache ich davon kein Bild.

Und es lässt sich nur schwer abbilden, wie es sich anfühlt stundenlang gegen den Wind zu fahren. Das war bei dieser Etappe wieder einmal der Fall und ist nicht nur anstrengender, sondern auch mental fordernder, weil ich das Gefühl hab, mich nicht von der Stelle zu bewegen.

Urlaub oder sportliche Challenge

Wichtig ist mit welchen Erwartungen man eine Radreise macht. Wer sich im Urlaub erholen möchte, wird das bei einer Radreise nur bedingt können. Natürlich kann man durch die Streckenlänge die Belastung steuern und sich mehr oder weniger verausgaben, aber um zu verreisen und nicht nur von einem Dorf zum nächsten zu fahren, wird man täglich ein paar Stunden im Sattel sitzen müssen.

Das kann zur sportlichen Herausforderung werden, aber idealerweise sollten die Etappen so gewählt werden, dass es keine Challenge wird. Wer eine sportliche Herausforderung sucht, sollte lieber an einem Marathon oder einem Radmarathon teilnehmen. Dann kümmern sich andere um organisatorische Aufgaben, die man bei einer Radreise auch noch erledigen muss: Verpflegung besorgen, Unterkünfte buchen, Routen planen, usw.

Und selbst die beste Routenplanung bewahrt einen nicht vor Planänderungen. Ich stand schon vor einer Fähre, die nicht gefahren ist und mehrfach vor verschlossenen Grundstücken. Bei dieser Tour stand ich direkt am Anfang nach dem ersten Anstieg vor einem abgeschlossenen Tor. Der Umweg war mir zu viel, deshalb hab ich mein gesamtes Equipment über den Zaun gehoben.

Spontanität
ist gefragt

Natürlich sind das Erlebnisse an die ich mich gerne erinnere. Das stundenlange Treten gegen den Wind ist zwar zum Glück schnell wieder vergessen, aber an dem Tag hab ich mehrfach laut geflucht und war froh, dass ich beim Fahren wenigstens Musik hören konnte, um mich abzulenken. Die schönen Erlebnisse machen meiner Erfahrung nach den kleinsten Teil einer Reise aus, sind aber das, woran ich mich im Nachhinein am meisten erinnere. Beispielsweise das Bild der Erntehelfer in Rheinland-Pfalz, die grade Pause gemacht haben als ich sie passiert hab.

Trügerische
Idylle

Das Bild hat mich an das Gemälde “Die Ährensammlerinnen” von Jean-François Millet erinnert. Im Gegensatz zum Gemälde, in dem die Ährensammlerinnen bei der Arbeit portraitiert sind, haben die Erntehelfer die Mittagspause in kleinen Gruppen zum Schlafen, Essen und Ausruhen genutzt. Die Ruhe trügt natürlich, den den Großteil des Tages verrichten die Männer und Frauen eine kräftezehrende, körperliche Arbeit, die nur von außen malerisch wirkt.

Im Gegensatz zu einer Radreise dient die Feldarbeit dem Broterwerb, daher können beide Tätigkeiten schwer miteinander verglichen werden. Die Wirkung könnte aber eine ähnliche sein. Während des Lockdowns haben anfänglich viele Erntehelfer gefehlt und viele in der Bevölkerung wollten einspringen, weil die Arbeit mit den eigenen Händen an der frischen Luft einen ursprünglichen, natürlichen Charme versprüht (und viele wollten natürlich auch aus Solidarität helfen). Radreisen wirken verlockend, weil man sich aus eigener Kraft fortbewegt. Im Gegensatz zum Flugzeug, Bahn oder PKW kann das langsamere Tempo zur Entschleunigung beitragen, aber Kopf und Körper können dabei auch an ihre Grenzen stoßen. Wer sich daran nicht stört oder Grenzerfahrungen im Urlaub sucht, der wird auch Spaß haben; selbst wenn das nicht die ganze Zeit der Fall sein wird…

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Die Daten stammen von meinem Strava Profil.

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