Wenn man es als Künstler beim Delicious Trail Dolomiti laufen lässt

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Blogger, Podcaster, Designer, Läufer oder Klettermax – ich wurde bereits als vieles bezeichnet, weil ich wohl nicht dem klassischen Bild eines Künstlers entspreche. Denn ich sehe mich selbst als Künstler, der sich nicht an die Regeln des Kunstbegriffs hält.

Seit dem 20. Jahrhundert kann alles zur Kunst erklärt werden. Kunst entsteht durch das wechselseitige Spiel zwischen Werk und Betrachter. Das Werk kann ein Gemälde, eine Fotografie, eine Installation oder eine Performance sein. Aber was passiert, wenn man sich als Künstler vom Objekt löst und sich ausschließlich auf das Spiel konzentriert?

Kunst erweitert meinen Horizont und ermöglicht es mir einen anderen Blick auf die Welt zu werfen. Kunstwerke reichen mir die Hand, um in Welten einzutauchen, die sonst schwer erfahrbar sind. Wenn ich beispielsweise im Netz von Walk in Orbit von Saraceno im K21 sitze, dann erlebe ich ein Raumgefühl, das ich nur dort empfinde; ähnlich war es bei den Floating Piers von Christo.

Floating Piers vs. Saraceno

Walk in Orbit vs.
Floating Piers

Beide Arbeiten sind zwar Objekte, werden aber erst dadurch zur Kunst, weil sie nicht nur ein Klettergerüst oder eine Brücke über einen See sind, sondern mehr im Besucher auslösen; auch wenn das Mehr schwer zu beschreiben ist. Gleiches beobachte ich an mir bei Laufveranstaltungen wie dem Delicious Trail Dolomiti.

Am Anfang war es Krampf und Kampf

2008 hab ich zum ersten Mal am Frankfurt Marathon teilgenommen. Damals war ich 03:55:37 Stunden unterwegs und hab den 4520. Platz belegt. 2011 war ich wieder am Start und wollte eigentlich unter 3:30 Stunden laufen. Stattdessen hab ich 03:58:28 Stunden gebraucht und wurde 6113. Seit dem wollte ich unbedingt nochmal an einem Marathon teilnehmen, um mein verpasstes Ziel zu erreichen. Es hat bis Anfang diesen Jahres gedauert, dass ich bereit war die Trainingsstrapazen zu wiederholen.

Kurz vor Karneval hab ich mich zum METRO Marathon in Düsseldorf angemeldet. Innerhalb von zehn Wochen hab ich mich von drei wöchentlichen Läufen à acht Kilometern auf sechs Trainingseinheiten pro Woche gesteigert. Selbst während Karneval hab ich trainiert; morgens 25km laufen, abends bis in die Nacht feiern. Angefangen hab ich mit dem Runners World Marathon Trainingsplan für eine Zielzeit unter 3:30 Stunden, dann unter 3:15 Stunden und zwischenzeitlich sogar unter 3:00 Stunden; was für mich (noch) nicht erreichbar war. Am Ende hab ich 03:11:30 gebraucht und bin auf dem 334. Platz gelandet.

Im April, wenige Wochen vor dem METRO Marathon hab ich mich außerdem für den Delicious Trail Dolomiti angemeldet. Eine Freundin, die 2018 zum ersten Mal teilgenommen, bezweifelte zwar, dass ich die volle Distanz über 44 Kilometer und 3200 Höhenmeter schaffen würde, aber das war nur zusätzliche Motivation.

Dolomiti Delicious Trail 2019

Ursprünglich war mein Ziel unter 8:00 Stunden zu laufen, dann aufgrund des intensiven Trainings unter 7:00 Stunden und am Ende hab ich mit einer Zielzeit unter 6:00 Stunden geliebäugelt. Das schien sogar realistisch, denn der RUNNING Coach prognostizierte aufgrund meiner Wettkampfergebnisse über andere Strecken eine Zielzeit von 05:06:33 Stunden. Damit hätte ich bei meinem ersten Trailrun das Podium erobert. Unrealistisch. Bereits nach einem Drittel der Strecke war klar, dass die Kalkulation über meinen Möglichkeiten lag.

Dolomiti Delicious Trail 2019

Blick vom Lagazuoi über
einen Großteil der Strecke

Aber von vorn. Der Start in Cortina d’Ampezzo war ein echter Traum. Die Stimmung am Start war unter anderem durch die Moderation und die Musik super motivierend. Ich hab zwar kein Wort verstanden, weil ich nicht Italienisch spreche, aber am Start war ich voller Euphorie und Vorfreude. Das war auch noch nach den ersten beiden Anstiegen der Fall. Erst im dritten Anstieg folgte der freie Fall in die Falle. Nach dem zweiten Anstieg ging es mit vollem Tempo in ein Tal und von dort direkt in den längsten Anstieg. Innerhalb von 6 Kilometern mussten knapp 1000 Höhenmeter überwunden werden. Mein einziger Trost waren die anderen Läufer, die sich ebenfalls zum Rifugio Nuvolau den Berg hochquälten, wie ich an den Verpflegungspunkten auf die Snacks verzichteten und ausschließlich Gels und viel Flüssigkeit zu sich genommen haben.

In meinem Video über den Delicious Trailrun hab ich bereits darauf hingewiesen, dass man am Rifugio Nuvolau zwar über die Hälfte geschafft hat, aber der knüppelharte Schlussanstieg noch vor einem liegt. Deshalb hielt sich meine Euphorie beim Abstieg in Grenzen. Es lief zwar wieder besser, aber da man ausschließlich auf harten, teils felsigen Wanderpfaden unterwegs ist, haben ab dem Abstieg vom Rifugio Nuvolau meine Fußsohlen gebrannt. Im Tunnel zum Lagazoui spielte das keine Rolle, denn aufgrund der Treppen überwindet man im Tunnel innerhalb von 500m rund 300 Höhenmeter, weshalb der Kopf irgendwann ausschaltet und man sich einfach durch die Dunkelheit quält. Kurz vor dem Ende des Tunnels hat mir ein anderer Läufer, den ich überholt hab auf die Schulter geklopft und mich angefeuert. Das hat zwar nicht den Schmerz genommen, steht aber symbolisch für das Miteinander. Es läuft zwar jeder für sich, aber alleine würde ich mir die Strapazen niemals antun und man hat das Gefühl durch das Mitleiden der anderen verringert sich der eigene Schmerz.

Dolomiti Delicious Trail 2019

Alles fürs Foto:
Say cheeeeesseee…

Die schlimmsten Stellen sind nach dem Lagazoui zwar vorbei, aber die letzten zehn Kilometer gehen ausschließlich bergab und bringen die Oberschenkel nochmal zum Brennen. Feuer und Flamme war ich schon lang nicht mehr, sondern bin die letzten Kilometer einem anderen Läufer zum Ziel gefolgt. Leerer Akku, leerer Blick und leerer Kopf haben mich zwar nicht ausgebremst, aber führten dazu, dass ich es einfach nur hinter mich bringen wollte und auch der Zieleinlauf keine größere Euphorie auslöste. Mit der Zeit von 06:22:00 Stunden und dem 34. Platz bin ich aber sehr zufrieden.

Dolomiti Delicious Trail 2019

Ein Ende ist immer
auch ein Anfang

Der Delicious Trail Dolomiti wird nicht mein letzter langer Lauf gewesen sein. Im Gegenteil. Im nächsten Jahr will ich die Distanz weiter steigern, um zu erleben, welche Auswirkungen die Vorbereitung auf mich hat. Denn der Wettkampf ist nur die Stecknadel im Heuhaufen. Das Ziel einer Reise, ähnlich wie die Arbeit an einem Kunstwerk. Wenn ich ein Kunstwerk erschaffe, ist das Ergebnis am Ende ein Abfallprodukt. Das Werk ist ausschließlich dafür da dem Betrachter etwas zu vermitteln, das mehr ist als das eigentliche Werk.

Genau das gleiche erlebe ich aktuell beim Laufen und insbesondere in der Vorbereitung. Wenn ich an einem Kunstwerk arbeite ist der Prozess geprägt von Liebe, Hass, Anstrengung, Euphorie und Selbstzerstörung. Beim Laufen ist es ähnlich. Es macht mir keinen Spaß mich über lange Distanzen zu quälen. Aber auf Regen folgt Sonne und erst dadurch entsteht ein Regenbogen – ich bin auf der Suche nach den Regenbögen.

Vor wenigen Wochen hat sich ein Trainingslauf zum ersten Mal wie ein Regenbogen angefühlt. Ich hatte das Gefühl zu schweben und es hat mich motiviert weiter zu trainieren. Diese Erlebnisse möchte ich weitergeben. Ich will niemanden zum Laufen bringen, sondern motivieren es laufen zu lassen und will versuchen den beschriebenen Prozess erlebbar zu machen. Beispielsweise durch meinen Blog, Bilder, Podcast oder Videos. Was am Ende entsteht, weiß ich noch nicht, aber das wird mein nächstes Level als Künstler.

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