Provozierend oder inspirierend – Gedanken zur Balthus-Ausstellung in Basel

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Blog Kunst
Ausstellung, Kultur
Dem Schweizer Rundfunk zufolge sollte man sich auf Proteste einstellen, wenn man eine Balthus-Ausstellung macht. Die Fondation Beyeler in Basel traut sich trotzdem.

Balthus Portraits junger Mädchen sind umstritten, weil er sie in erotisch anmutenden Posen gemalt hat und das nicht aus der Fantasie. Anna kam acht Jahre lang zu Balthus, um für ihn Modell zu stehen. Ein Künstler lebt und arbeitet mit Mädchen, die erst davor sind zur Frau zu werden; das darf durchaus diskutiert werden. Die Kunstfreiheit erlaubt zwar vieles, aber wie präsentiert und betrachtet man Werke, die sich an der Grenze gesellschaftlicher Regeln und Normen bewegen oder sogar darüber hinausgehen. Auf diese Frage gibt es natürlich keine Antwort. Man kann ein Werk in den historischen Kontext stellen, man kann sich auf die künstlerische Leistung konzentrieren oder den Künstler und die Gesellschaft hinterfragen. Der Kurator entscheidet, worauf bei einer Ausstellung der Fokus liegt; die Deutungshoheit bleibt beim Betrachter.

Bild von Balthus in der Fondation Beyeler in Basel

Worauf liegt
der Fokus?

BALTHUS, LA RUE, 1933
Öl auf Leinwand, 195 x 240 cm
The Museum of Modern Art, New York, Vermächtnis James Thrall Soby © Balthus
Foto: © 2018. Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florenz

Wie macht man sich ein Bild von Balthus Bildern in der Fondation Beyeler ohne die Ausstellung zu sehen?

Ich hab die Balthus-Ausstellung, die noch bis zum 01. Januar 2019 in der Fondation Beyeler in Basel zu sehen ist, nicht besucht. Stattdessen liegt wie im Studium ein Ausstellungskatalog vor mir auf dem Tisch und in meinem Browserverlauf finden sich einige Artikel über Balthus und die aktuelle Ausstellung in Basel. Es ist die Basis für diesen Text, der mich noch nicht befriedigt. Kunst ist für mich mehr als beschreibende Worte und Abbildungen. Kunst muss einen berühren. Und das sollte auch ein Text über Kunst.

Emotionslose Artikel enden aus meiner Sicht entweder als elitäre Stammtischtexterei oder sind eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Weder das eine, noch das andere führt dazu, dass ich mich für einen Museumsbesuch begeistern kann. Wenn ich den Balthus-Katalog durchblättere, bekomme ich aber Lust die Ausstellung zu besuchen und in den Bildern abzutauchen. Denn ich betrachte Kunst nicht nur, sondern versuche ein Werk mit allen Sinnen aufzusaugen.

Wie denkt, fühlt oder hört man ein Kunstwerk, wenn man es “nur” sehen kann?

Ich möchte Kunst genießen und gehe nicht ins Museum, um mich zu bilden. Es ist wichtig und richtig, dass Ausstellungen didaktisch aufbereitet werden, dass man ein Begleitprogramm erarbeitet und sich überlegt, wie man Kunstwerke vermittelt. Manchmal interessiert mich das auch, aber meistens möchte ich einfach nur Kunst anschauen. Denn ein gutes Kunstwerk öffnet mir einen Raum, in dem ich mich der Wahrheit annähere. Der Wahrheit, die niemand eindeutig definieren kann, weil die Erleuchtung darin zu bestehen scheint, zu verstehen, dass die Wahrheit mehrdeutig ist. Je mehrdeutiger, umso besser.

Balthus Bilder sind mehrdeutig und seine narrativen Motive bieten Raum für eigene Gedanken. Ich frage mich, was im Kopf der portraitierten Kinder vorgeht, wie ich mich selbst abbilden würde und welches Weltbild man aus den Straßenszenen ableiten kann.

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Dieses Foto enthält sensible Inhalte, die einige Personen als beleidigend oder störend empfinden könnten

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Je mehr ich versuche mich Balthus Bildern anzunähern, umso stärker verschwimmen meine Gedanken. Die Bilder in meinem Kopf werden unscharf. Ich fühle zwar die passenden Worte, um einzelne Werke zu beschreiben, aber aufschreiben kann ich sie nicht. Doch das ist ein gutes Zeichen, denn Bilder und Worte sind beschränkte Zeichensysteme, die nicht alles abbilden können. Die Wahrheit steckt zwischen den Zeichen. Aber nicht versteckt. Ganz im Gegenteil. Jeder kann sie sehen, nur nicht richtig erkennen.

Es ist vergleichbar mit Balthus Bildern: Beispielsweise La Lecon de guitare oder Thérèse rêvant. Bei beiden Bildern wird der Blick des Betrachters durch die Komposition auf den Intimbereich der Mädchen gelenkt. Als Betrachter scheut man sich davor den Kompositionslinien zu folgen, obwohl Balthus “mit wenigen Ausnahmen kaum Interesse an der Darstellung der weiblichen Schamgegend zeigt.” 1

Man sieht, dass man nichts Besonderes sieht.

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Kunst muss nicht besonders sein, um besonders zu sein. Welche Arbeiten besonders sind, entscheidet nicht nur der persönliche Geschmack. Ein Werk ist bemerkenswert, wenn es den Betrachter mit etwas konfrontiert, das er beispielsweise scheut oder noch nicht gesehen hat. Etwas das den Horizont erweitert und zwar zu einem Zeitpunkt an dem man den Horizont sehen kann und bereit ist dahinter nicht von der Scheibe zu fallen, sondern weiterzulaufen. Der Gang über den Horizont erzeugt ein unglaubliches Gefühl.

Gefühle kommen auch auf, wenn Bilder zum Träumen einladen, wenn die Ästhetik den Betrachter anregt oder wenn man von den technischen Fähigkeiten des Künstlers begeistert ist. Wegen solcher Gefühle gehe ich in eine Ausstellung, die ich nicht mit mehr Wissen verlassen will, sondern mit neuen Emotionen. Denn Emotionen stärken die eigene Empathie. Man versetzt sich in das Kunstwerk und versucht das Werk, den Künstler, die Komposition und vieles mehr zu verstehen.

Ob die Balthus-Ausstellung in Basel provozierend oder inspirierend ist, lässt sich aus der Ferne schwer beurteilen. Provokation und Protest sind auf jeden Fall inspirierend, wenn man sich nicht blind provozieren lässt, sondern hoch kochende Emotionen reflektiert, diskutiert und nutzt. Dafür scheint die Balthus Retrospektive in der Fondation Beyeler in Basel gute Voraussetzungen zu bieten.

Die Balthus-Ausstellung läuft noch bis zum 01. Januar 2019 in der Fondation Beyeler in Basel.

 
 
 

1 Wim Wenders: Eine geheime Passage in die Ewigkeit, in: Raphaël Bouvier (Hg.): Balthus, Fondation Beyeler, 2018, S. 117.

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