Lieber Sebastian Späth, …

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Wer Sebastian Späth nicht kennt, sollte ihn kennenlernen. Sebastian ist Künstler, künftiger Journartist und kommende Woche zu Gast in meinem Podcast. Zur Einstimmung hab ich ihm einen Brief geschrieben…

Lieber Sebastian,

was ist die Kunst, was macht die Kunst, was kann die Kunst und was der Künstler? Was bewirkt das Kunstwerk und was der Betrachter? Ich hab mit Interesse Dein Buch gelesen und mich darüber gefreut, dass sich ein zeitgenössischer Künstler geistreich, öffentlich an die Definition von Kunst wagt.

Während meines Kunstgeschichtsstudiums fragte einer meiner Professoren im Seminar entgeistert, ob wir nicht mehr nächtelang über die Definition von Kunst streiten würden. Taten wir nicht. Und es scheint mir als gibt es einen unausgesprochenen Konsens in der Kunstwelt. Gestritten wird selten, stattdessen scheinen viele satt. In der Kunstwelt geht es einem gut.

Wenn ich an die Kunstwelt denke, denke ich an ein Bild, der von mir sehr geschätzten Esoterikerin Vera F. Birkenbihl. In Ihrem Vortrag “Pragmatische Esoterik. Der kleine Weg zum großen Selbst” beschreibt sie, wie wir durch die Erziehung normalisiert werden und dadurch einen Teil unseres Potentials verschenken.

Ähnliches passiert in der Kunstwelt.

Künstler, Kunsthistoriker, Galeristen, schlicht alle Protagonisten der Kunstwelt lassen sich erziehen und verschenken ihr Potential, obwohl sie vermeintlich frei denken. Kinder bzw. junge Künstler schöpfen noch aus dem Vollen. Dafür bist Du das beste Beispiel. Ein weiteres Beispiel wäre Susan Sontag, deren Essay “Against Interpretation” ebenfalls in jungen Jahren entstanden ist. Über die Jahre beugen sich allerdings viele den Konventionen der Kunstwelt.

Brauchen wir für eine Veränderung eine radikale Kunst? Ist die Lösung die Diktatur der Kunst?

Der Künstler JR (Juste Ridicule) hat 2011 den TED Prize bekommen. Sein Wunsch: Kunst benutzen, um die Welt umzukrempeln. JR war damals 28 Jahre alt und hat es unter anderem geschafft, dass das Inside Out Project um die Welt ging. Auf Instagram steht in seiner Beschreibung: Artist until i find a real job. Und für JR scheint die Kunst wirklich kein Beruf, sondern Berufung zu sein. Er macht meiner Meinung nach Kunst, um die Welt zu verbessern, aber ohne den moralischen Zeigefinger zu heben oder sich selbst als Weltverbesserer zu inszenieren. Seine Kunstwerke und seine Projekte bewegen und berühren, obwohl er sich nicht radikalisiert hat. Auf Instagram hat er 1.2 Millionen Follower. Sein TED-Talk “My wish: Use art to turn the world inside out” wurde fast drei Millionen mal angeschaut.

JR wird die Welt zwar auch nicht in eine Utopie verwandeln, aber im Gegensatz zur Kunstwelt arbeitet er nicht daran den Status quo zu erhalten, sondern trägt seine Gedanken und Ideale in die Welt.

Um die Kunst bzw. die Kunstwelt zu verändern, muss man sich meiner Meinung nach auch nicht radikalisieren. Im Gegenteil. Ich finde es gradezu lächerlich, wie sich die Mitglieder des Zentrum für politische Schönheit als Krieger inszenieren und bezweifle, dass sie mit ihrer Haltung Meinungen verändern und einen Wandel herbeiführen. “Was Du bekämpfst, machst Du stark!” (Vera F. Birkenbihl).

Anstatt sich bildstark zu inszenieren oder zu radikalisieren, muss man für einen Wandel das System infizieren. Vera F. Birkenbihl erklärt in ihrem Vortrag “Viren des Geistes” wie sich Viren verbreiten. Am Beispiel der Amish erklärt sie, “je strenger das Regime in der Glaubensgemeinschaft und je mehr Opfer man bringen muss, um drin zu sein (…) desto besser hält es die Leute bei der Stange”. Die Kinder der Amish entscheiden freiwillig, ob sie als Erwachsener Teil der Gemeinde bleiben wollen. 78% entscheiden sich dafür.

Kann man das nicht auch auf die Kunstwelt übertragen?

Die Kunstwelt hat ihre eigenen Regeln und wer sich in ihr bewegen will, muss sich anpassen. Für die Künstler besteht wie bei Kindern die Gefahr, dass sie sich von der (Kunst-)Welt erziehen lassen und dadurch ihr Potential verschenken. Die Folge: Obwohl viele meinen die Kunstwelt sei eine Offenbarung, wird man nichts in ihr finden. Für eine Offenbarung ist man ohnehin selbst verantwortlich. Im zitierten Vortrag erklärt Birkenbihl, dass man eine Offenbarung nicht erklären kann, sondern sie selbst erfahren muss. Man kann jemandem nicht erklären, warum es geil ist, Fahrrad zu fahren. Das merkt derjenige erst, wenn er auf dem Fahrrad sitzt.

Genauso ist es mit der Kunst. Man kann jemandem nicht erklären, warum Kunst geil ist. Warum sie kraftvoll ist. Warum sie unendlich Potential besitzt. Das muss jeder selbst erleben. Aber man erlebt es nicht, indem man ein Kunstwerk anschaut. Das Kunstwerk ist ein Abfallprodukt. Es ist das Ergebnis der Offenbarung. Die Offenbarung wird für den Betrachter allerdings erst erfahrbar, wenn er selbst anfängt Fahrrad zu fahren.

Wenn man dieses Kunstverständnis auf das Leben überträgt und die Kunst als Spiegel des Lebens sieht, wird die Kunst überflüssig beziehungsweise ist das Leben die wahre Kunst. Für mich ist das Leben nichts anderes als ein irdischer Kunstprozess, der mit dem Tod endet. Am Lebensende bleibt nur ein Abfallprodukt übrig. Aber durch den Prozess, durch das Leben, kann man andere infizieren und einen Wandel einleiten.

Wenn man die Kunst so versteht, dann plädiere ich wie Florian Kuhlmann dafür sich vom Kunstbegriff zu lösen bzw. ihn im ersten Schritt aufzuweichen und die Metamoderne zu genießen.

Ich freu mich darauf im Podcast nächste Woche Deine Antwort zu hören.

Viele Grüße,
Andreas

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